Viele Menschen, die einen Paartherapeuten aufsuchen, sind sehr wohl in der Lage, eigene Verhaltensweisen zu erkennen, die zu negativen Interaktionen mit dem Partner beitragen. Sie verfügen durchaus über Beziehungserfahrung und eine meist recht hohe Beziehungsintelligenz. Dennoch sehe ich häufig Paare frustriert und ohne Hoffnung auf Veränderung der immer wiederkehrenden Interaktionsmuster – zu viel haben sie schon versucht, zu oft sind sie schon in die alten Muster zurückgefallen. Es fehlt die Zuversicht, dass Veränderung möglich ist.
Denn sie wissen, was sie tun…
Beide Partner wissen eigentlich, dass sie mit dem eigenen Verhalten sehr wohl auch einen eigenen Beitrag zu den verhassten Situationen beisteuern. Oder sie sehen das spätestens, nachdem sie sich mit der partnerschaftlichen Misere etwas intensiver befasst haben. Sie sind sich bewusst, dass die gewählten eigenen Strategien nicht zielführend sind, weil die eigenen Aktionen genau die Reaktionen beim Partner hervorrufen, die sie selbst aus der Welt geschafft haben wollen.
Warum wird, obwohl beide Partner wissen, was zu tun wäre, der nötige eigenen Schritt in Richtung Veränderung nicht gegangen?
Einerseits hängt dies damit zusammen, dass wir viele unserer Strategien bereits in der Kindheit, im Kontakt zu unseren ersten Bezugspersonen, erlernt haben, sie seither fleißig praktizieren und schon weitgehend automatisiert haben. Sie fühlen sich vertraut und richtig an, auch wenn sie uns und dem, was wir erreichen wollen, in der gegenwärtigen Situation nicht mehr dienen.
Manchmal hilft die Erkenntnis, dass „mehr desselben“ eben nicht wirklich ein neuer Versuch ist, sondern eine Wiederholung darstellt.
Miteinander über die gemeinsamen Muster reden, freundliches, zugewandtes Grenzen setzen, vertreten der eigenen Position, bitten um Unterstützung beim Wechsel in ein besseres Zusammensein, üben des „guten Tons“, also insgesamt eine gewisse Beständigkeit und Hartnäckigkeit auf beiden Seiten, sind hilfreich und oft auch nötig.
Leider ist es aber häufig so, dass genau an dieser Stelle die Partner entdecken müssen, dass ein weiterer Bestandteil fehlt, der dringend notwendig ist, damit das gemeinsame Projekt Erfolg hat. Zuversicht. Zuversicht, dass Veränderung gelingen kann und der Glaube daran, der Partner könne oder wolle sich wirklich verändern.
Zuversicht
Was bedeutet in diesem Kontext Zuversicht? Zuversicht bedeutet die positive Einschätzung des Anderen. Zuversicht bedeutet, zu vertrauen, dass der Partner willig ist und sein Bestes geben wird, damit Veränderung möglich wird. Zuversicht bedeutet, dem Partner und sich selbst zuzumuten und zu vertrauen, „dass wir das schon schaukeln werden“.
Zuversicht als Haltung
Als Erstes ist Zuversicht also eine Haltung. Wie aber kommen wir dahin? Die Aussage „Es bewegt sich nichts“ sehe ich als Paartherapeutin erst einmal als Zeichen, dass da jemand „auf der Bremse steht“, oder, um beim Schaukeln zu bleiben: „Den Fuß nicht vom Boden kriegt“. Die Metapher vom Schaukeln ist sehr geeignet, um diesen paartherapeutischen Prozess zu verdeutlichen: wenn ein Paar in Therapie kommt, will es wieder Schaukeln, es will in Bewegung kommen, neue Ausblicke haben, wieder Freude und Spaß erfahren. Wenn ich nun meinem Partner nicht zutraue, dass er fähig ist, sein Verhalten zu ändern, seine Ansichten zu hinterfragen, als Person zu wachsen, dann bleibe ich sozusagen, nachdem ich die Schaukel in Spannung gesetzt habe, um Schwung zu holen, einfach mit einem Fuß am Boden stehen. Dieses Bild verdeutlicht ganz klar: da hat jemand etwas vor, tut es aber nicht. Oft sind es beide. (Wobei jeder denkt, er würde sehr wohl etwas verändern, der andere aber nicht.)
Was braucht es? „Den Fuß vom Boden nehmen“ bedeutet erst mal loslassen. Um loslassen zu können, muss ich achtsam sein, langsamer werden, innehalten, eine Lücke zwischen Reiz und Reaktion schlagen. Um genügend Distanz zu gewinnen, damit ich sozusagen von außen einen Blick auf die Situation werfen kann. Eine Beobachterposition einnehmen kann. Um mich dann zu entscheiden: Was braucht die Situation jetzt von mir? Wie kann ich zur Veränderung beitragen? Weg vom „ja, aber der Andere…“ und selbst den ersten Schritt in Richtung Veränderung tun. Schwung holen und beherzt den Fuß vom Boden nehmen. Es braucht neue, andersartige Reaktionen und Impulse und dazu auch neue Blickwinkel. Systemisch ausgedrückt: Egal wo, wenn sich an einer Stelle des Systems etwas bewegt, kommt das System als solches in Bewegung.
Wenn ich meinem Partner nicht zutraue, dass er gleichzeitig seinen Teil dazu tun wird, ist das ein schwieriger Schritt. Ich gehe das Risiko ein, (wieder) verletzt oder enttäuscht zu werden. Nur: Ohne dieses „Fuß vom Boden nehmen“ wird es kein Schaukeln geben. Zuversicht bedeutet also auch Mut. Mut beinhaltet einerseits Angstbewältigung, aber auch eine klare Entscheidung. Diese Entscheidung zu treffen, fällt manchmal etwas leichter, wenn der zweite Aspekt von Zuversicht klarer wird:
Zuversicht als Verhalten
Zuversicht bedeutet auch, den Partner so zu behandeln, als sei er schon zu der Version seines Selbst geworden, die ich mir wünsche.
Stellen wir uns zur Veranschaulichung uns selbst im Umgang mit einem Kind vor: Wenn wir bei einem Kind ein Verhalten bewirken möchten, wie erreichen wir das Gewünschte eher, wenn wir annehmen, es wird das schaffen, oder wenn wir denken und uns so verhalten, als ob es das erwünschte Verhalten ohnehin nicht schaffen wird?
Natürlich erwartet keiner von uns, dass wir unseren Partner wie ein Kind behandeln. Dennoch: Wenn wir verhindern wollen, dass wir selbsterfüllende Prophezeihungen schaffen, sollten wir im Auge behalten, dass unser Denken – über Worte und Taten – Folgen hat.
Ein beherztes „Ich versuch`s! Ich trau`s Dir zu!“ zu vermitteln, anstelle eines „Du zuerst!“, bedeutet, einen mächtigen positiven Impuls zu setzen.
Vielleicht braucht es mehrere Anläufe. Vielleicht braucht es eine Weile Einschaukeln. Manchmal vielleicht eine Prise Humor, ein „Ups, da sind wir wieder!“, ein Augenzwinkern.
Sich für die Haltung und das Handeln in Zuversicht zu entscheiden, braucht tatsächlich Mut, Optimismus, Abenteuerlust, Neugierde. Doch in ganz vielen Fällen lohnes sich, Anlauf zu holen, den Fuß vom Boden zu heben, loszulassen. Für ein beherztes „Wir werden das schon schaukeln!“.
Themenverwandte Texte: