Eifersucht: Wenn die eigenen Gefühle zum Feind werden

Eifersucht ist ein sehr belastendes Thema. Für den Eifersüchtigen, für den Partner, für die Beziehung. Eifersucht ist ein schwieriges Thema. Ein SEHR schwieriges… Tatsächlich und vor allem, weil uns dabei unsere eigenen Gefühle zu unserem Feind werden.

Gefühle geben uns wichtige Informationen über uns selbst und sie sind existentielle Voraussetzung sowohl dafür, uns in Beziehungen zurecht zu finden wie auch dafür, uns durch unsere Umwelt zu navigieren.

So kann Eifersucht uns klar zeigen, dass uns eine andere Person sehr wichtig ist; dass wir Angst haben, sie zu verlieren.

Dennoch empfinden die meisten Menschen Eifersucht eher als „unbezähmbares Monster“, das sie nicht an ihrer Seite haben möchten.

In der Tat hat Eifersucht überwiegend negative Effekte:

Da ist einmal ihre Unkontrollierbarkeit: Eifersucht treibt uns in den Strudel einer Besessenheit von Gedanken, die uns übermannt und beherrscht und uns zu einer völlig anderen Person macht. Wenn wir uns auf diese Regung konzentrieren, werden wir von ihr aufgesaugt. Sobald wir uns den Gedanken widmen, nehmen sie Besitz von uns. Sie werden zur Obsession. Nicht selten wird dann aus weiß schwarz – Graustufen-Interpretationen sind meist nicht diskutabel.

Verleugnungstendenzen sind ein weiterer schwieriger Aspekt von Eifersucht. Fragen wir Menschen, die nicht in einer Beziehung sind, ob sie eifersüchtig sind, dann kategorisieren sich die meisten als „nicht der eifersüchtige Typ“. Erst in Beziehung werden wir mit dem Phänomen konfrontiert – doch auch da bleiben viele bei der Behauptung, sie seien „eigentlich nicht eifersüchtig“, nur das Verhalten des Partners verursache eine solch außergewöhnliche Reaktion.

In meiner Praxis begegnen mir immer wieder Menschen, die nicht nur einfach versuchen, Eifersucht zu verstecken, sondern trotz heftigster Gefühlswallungen sich selbst einreden, dass sie nicht eifersüchtig sind. Warum?

Weil Eifersucht hässlich ist, weil sie uns verletzlich macht, weil sie uns unsouverän zeigt, weil sie irrational ist und weil wir eigentlich ganz genau wissen, dass wir, wenn wir ihr Raum geben, das, was wir lieben, damit zerstören. Und nicht zuletzt, weil all dies dazu führt, dass wir uns ihrer schämen.

Scham war noch nie ein guter Ratgeber und so täuschen wir uns selbst gerne mit dem Argument, dass, wenn dieses negative, mächtige Gefühl da ist, es irgendwo eine Berechtigung dazu geben muss, einen Anlass, einen triftigen Grund. So kommt ein weiterer negativer Effekt dazu: das Verschieben von Verantwortung. Wenn „es“ mich überfällt, dann muss es ja von außen kommen. Und ich bin das Opfer. So muss es einen Täter geben. Und der ist wohl der andere. Der Partner…

Tatsächlich hat manchmal im Vorfeld ein Treuebruch stattgefunden; in einer früheren Beziehung, zwischen den eigenen Eltern als unseren Vorbildern oder auch tatsächlich in der aktuellen Beziehung. Dies erschwert den Umgang mit Eifersucht sehr und macht das Misstrauen mitunter zu einem neuen, in manchen Fällen unüberbrückbaren Problem. Ich werde unten darauf zurückkommen. Dennoch führen Verleugnung, Scham und Verschiebung von Verantwortung dazu, dass viele Menschen eines übersehen: Eifersucht hat in erster Linie mit uns selbst zu tun.

Genauer gesagt mit eigener Selbstunsicherheit und mit unserem Besitzdenken.

Machen wir uns nichts vor: natürlich wären wir alle gerne so selbstbewusst, uns zu sagen, dass wir attraktiv und interessant genug sind, dass wir genügend liebenswerte und bewundernswerte Attribute besitzen und in der Gesamtheit so begehrenswert sind, dass unser Partner sich, auch bei Einladungen von außen, niemals in einer Art verhalten würde, die wir als ein Sich-anderen-zuwenden oder Uns-etwas-wegnehmen oder gar als illoyal oder untreu bezeichnen würden. Oder als Zeichen einer ungenügenden Beziehung mit uns. – Sind wir aber meist nicht. Denn das genau ist die Angst hinter Eifersucht: ungenügend zu sein.

Eifersucht signalisiert uns Gefahr. Wenn wir uns unserer Selbstunsicherheit nicht bewusst sind, dann führt uns diese vermeintliche (oder manchmal tatsächliche) Gefahr dahin, den anderen zu verdächtigen. Was zunächst nur ein Verdacht ist, wird durch unser Denken und Grübeln und unsere negativen Gefühle plötzlich zum Tatbestand. Wir unterstellen unserem Partner unzuverlässig, unbeständig, untreu, heuchlerisch, verräterisch zu sein. Was wir nicht mit Sicherheit wissen. Mehr noch: hätten wir die erleichternde Gewissheit, würde sie uns gleichzeitig wieder verletzen, ja zerstören. – Ein unseliger Abwärtsstrudel…

Die zweite Angst hinter Eifersucht ist die Angst, jemanden oder etwas zu verlieren, den/das wir lieben, der/das sehr wertvoll für uns ist. Wir können aber nur verlieren, was wir besitzen oder zu besitzen glauben. Hast Du schon mal beobachtet: in der Phase, in der wir einen Menschen „erobern“ sind wir nicht eifersüchtig. Erst mit dem Moment, wo wir ihn „besitzen“ erlauben wir uns diese Regung – womit wir die Person zu einem Objekt machen (spürst Du, wie unangenehm diese Erkenntnis ist? und sofort kommt der Schamaspekt von Eifersucht zum tragen. Verflixt…

Ich liebe Dich – Ich besitze Dich – Ich mache Dir Vorschriften – Ich kontrolliere Dich – Ich glaube irrsinnigerweise, auch im Besitz Deiner Gedanken zu sein: „Ich WEISS, dass Du xy denkst!!!“

Die Rolle des Eroberers macht uns zuvorkommend, verständnisvoll, großherzig, nachgiebig, nett.

Die Rolle des eifersüchtigen Besitzers… –  wollen wir alle nicht haben.

Was tun, wenn der Wille, selbstbewusster zu sein und keine Besitzansprüche zu haben nicht hilft? Was, wenn ich eigentlich selbstbewusst bin und den anderen bereits weitestgehend nicht als meinen Besitz zu betrachten versuche? Und dennoch dieses Gefühl immer wieder habe und nicht wirklich in den Griff bekomme?

Das In-den-Griff-bekommen von Eifersucht hat verschiedene Stadien:

– Bemerken, Bewertungsfreies Beobachten

– Akzeptanz

– Loslassen/Bearbeiten von eigen Anteilen /Grenzen setzen

Als Erstes gilt es, zu beobachten und zu bemerken:

Dass ich plötzlich diese Gedanken habe und diese peinigende Regungen, des Den-anderen-verdächtigen, jemanden anderen unterhaltsamer, hübscher, begehrenswerter, kompetenter zu finden und des Sich-vorstellens, dass der andere ihm/ihr Aufmerksamkeit, Zeit, Gedanken, Zuwendung, vielleicht sogar Körperlichkeit schenken könnte, von denen ich glaube, dass sie mir zustehen und mir zukommen sollten. Dass sich daraus Wut/Ärger entwickelt, ob des (manchmal realen, oft nur potentiellen!) Verhaltens meines Partners und des definierten oder auch unbestimmten Gegenübers, dem eben diese Aufmerksamkeit, Zeit, Gedanken, Zuwendungen etc. zukommen. Dass sich hinter einer solchen Wut Angst verbirgt und Traurigkeit. Und damit verbunden: Schmerz.

Und gleichzeitig, als Zweites, zu akzeptieren:

Ja! Ich bin wohl eifersüchtig! Und ja! Es tut mir nicht gut.

Die Scham, die oft sofort aufkommt gegenüber den eigenen Gedanken und Gefühlen – wie gerne würden wir großzügig dem Partner größeren Spielraum gewähren oder andere Interpretationen über Situationen haben – oder auch gegenüber bereits abgehaltenen Eifersuchtsszenen, in denen wir den anderen anklagen und beschuldigen und empört verlangen, er/sie solle sich gefälligst so verhalten, das man selbst nicht eifersüchtig sein MÜSSE, auch diese Scham müssen wir leider akzeptieren, oder zumindest als existent anerkennen, um mit ihr umgehen zu können. Verleugnen hilft nun einmal nicht.

Doch in diesem Akzeptieren, von allem, was da ist an Gedanken, Gefühlen und Regungen entsteht etwas Neues: Ein Freiraum. Ein Raum, in dem sich Gefühle verändern können. Wenn ich Angst oder Traurigkeit akzeptiere, dann vermindern sie sich nicht selten. In diesem Raum kommt aber noch eine weitere Möglichkeit dazu: die Möglichkeit, loszulassen.

Loslassen braucht diesen Freiraum. Diese Lücke zwischen Reiz und Reaktion, in der ich mich bewusst entscheiden kann, wie ich reagieren will. Loszulassen braucht oft eine willentliche Entscheidung. Eine Entscheidung dazu, nicht mehr Sklave der eigenen Ängste zu sein. Eine Entscheidung, am eigenen Selbstwertgefühl zu arbeiten. Eine Entscheidung, dem anderen zu vertrauen. Loslassen bedeutet nicht, ich stelle mich blind. Es bedeutet nicht, ich setze keine Grenzen, wo ein Verhalten mir nicht gut tut.

Es bedeutet aber: ich tue alles daran, nicht durch ein eifersüchtiges Denken und Verhalten eine Selbsterfüllende Prophezeiung zu erschaffen, in dem ich meine Beziehung durch Eifersucht in einen so schlechten Zustand versetze, dass, wenn denn dann eine „Einladung“ an meinen Partner getragen wird (sei es durch eine Person oder eine Situation), sich einem/einer anderen zuzuwenden in einer von mir nicht gewünschten Art, sich dieser nicht WEGEN ebendiesem von mir kreierten Zustand von mir abwendet.

Es bedeutet, ich vertraue und bemühe mich um eine gute, erfüllte Beziehung. Ich schenke meinem Partner sozusagen einen Vorschuss. (Zum Thema Vertrauen werde ich demnächst einen Text schreiben).

Einen Aspekt müssen wir uns ganz klar vor Augen halten: auch wenn ich mich trenne, bleibt mir MEIN eigener ANTEIL an dem Interaktionsmuster erhalten. Ich nehme ihn mit in die nächste Beziehung, wenn ich ihn nicht davor bearbeite. Und wäre dann nicht die Tatsache, einen Partner zu haben, der mich in meinen Anteilen herausfordert,  eine hervorragende Gelegenheit, ein idealer Übungsplatz, diese Veränderung anzugehen? Und damit eine Chance, aus der Sache als Gewinner hervorzugehen. Unabhängig von Gehen oder Bleiben.

Natürlich ist eine Frage, die wir uns stellen müssen, immer auch: genügt es mir? (Anstelle der Frage „genüge ich“?) Was, wenn ich mir sagen muss: ok, meinen Teil habe ich getan, dennoch empfinde ich das Verhalten meines Partners als verletzend und als unsere Partnerschaft nicht wertschätzend?

Denn, wie auch immer die Situation gelagert ist – sowohl wenn ICH durch meine Lebensgeschichte zu einem eifersüchtigen Menschen geworden bin, wie auch in der Situation, in der MEIN PARTNER sich sehr grenzüberschreitend verhält betreffend die Themen Teure, Solidarität, Loyalität – müssen wir uns am Ende die Frage stellen: kann und will ich damit Leben oder wäre es besser/einfacher/funktionaler mir einen anderen Partner zu suchen, der zu der mir eigenen Art zu „sein“ passt? Es bedeutet auch, mit dem Partner das Gespräch zu suchen über Werte und Grenzen: Was ist Deine Vorstellung von Autonomie und Bindung in einer Beziehung? Wo sind Deine Grenzen, wo meine, jenseits von der Angstbewältigung, die jeder selbst angehen muss. Miteinander die Frage zu beantworten: stellen wir wirklich die gleichen Ansprüche an uns selbst wie an den anderen? Oder wird ein Verhalten, das ich bei mir als völlig harmlos, unbedeutend und akzeptabel betrachte zu einem völlig anders bewerteten Verhalten, wenn es das meines Partners ist – und umgekehrt? Messen wir den anderen wirklich mit dem gleichen Maßstab wie uns selbst? Und wenn wir einfach andere Werte/Standards haben: wessen Standard soll dann gelten? Und nicht zuletzt: eine Verletzung bleibt eine Verletzung, auch wenn der Täter in seinem Tun keine Verletzung beabsichtigt. So muss jeder Mensch seine eigene Grenzen finden, dafür einstehen  und darauf bestehen, dass eine Regel gilt: das Opfer definiert, was eine Grenzüberschreitung ist und nicht der Täter.

Verwandter Blogeintrag: Vertrauen

Ghosting

Ghosting – Negative Nebeneffekte des Online-Datings

Kein aktueller Steit, keine nennenswerten Probleme, keine Andeutungen, dass etwas nicht passt, keine Bemerkung, keine Nachricht…Weder auf dem Anrufbeantworter, noch per sms oder whatsapp. Nichts…

Doch der Freund oder Partner ist nicht auffindbar, nicht erreichbar. Tagelanges Warten, Kontaktversuche per Anruf, Mail, Textnachricht, Klingeln an seiner Tür. Nichts…

Ist er unerwartet zu beschäftigt? Ist ihm etwas zugestoßen? Vielleicht jemandem in seiner Familie?

Sorge, Angst, liebevolle Gedanken wechseln sich ab…wieder Angst… aufkommende Wut – was fällt ihm ein?! Bohrende Ungewissheit…

Kein Lebenszeichen. Nichts. Nichts und nochmal nichts…

Oft auch nach Jahren nicht.

Ghosting. 

Wenn ein Mensch beschließt, aus dem Leben eines anderen Menschen zu verschwinden.

Ein Extremfall. Mit verheerenden Folgen.

„Er hat gesagt, er geht Zigaretten holen… und war für immer verschwunden“.

(Die männliche Form meint im ganzen Text den Menschen und umfasst somit alle männlichen und weiblichen Ghosting-Praktizierenden und -Betroffenen) 

Das Phänomen ist nicht neu.

Doch was früher selten geschah, gar nicht so einfach zu bewerkstelligen war und eine extreme Unverfrorenheit voraussetzte (hier pathologisierende Schubladen zu öffnen, ist meiner Meinung nach nicht hilfreich), kommt immer häufiger vor. 

Dass Menschen, die wir für Freunde gehalten haben, für unsere Liebhaber oder gar unsere Partner sang- und klanglos aus unserem Leben verschwinden. 

Wir haben heute, im Zeitalter von Online-Dating, Internetportalen, Apps wie „Tinder“ oder „Friendscout“ eine Kulisse für ein Szenario, das es bis vor ein paar Jahren nicht gab:

Es ist möglich, innert kürzester Zeit jemanden kennenzulernen, mehrmals am Tag zu „chatten“, sich regelmäßig und häufig zu treffen, sich zu verlieben, als Paar zu verstehen und viel Zeit miteinander zu verbringen, gemeinsam und in Gedanken aneinander. – Ohne gemeinsame Freunde zu haben, ohne dass uns irgendjemand bekannt gemacht hätte, ohne dass unsere Familien den Partner oder einander kennen, manchmal ohne dass überhaupt jemand aus unserem Umfeld von dieser Beziehung weiß. Eine Beziehung bar jeglicher sozialen Einbindung.

Manchmal war es so gewollt. Manchmal kommt es einfach so. Der inhärenten Bindungslosigkeit der Sozialen Medien entspricht eine verpflichtungsfreie Kommunikation, welche wiederum potenziell commitmentfreie Beziehungen entstehen – und vergehen – lässt.

Manch einer mag noch nicht mal geplant zu haben, so zu verschwinden. Doch das Angebot entsteht aus der Art der Begegnung heraus  und ist scheinbar sehr verlockend: Dinge verschweigen zu können, die ein Fortfahren in der Beziehung (manchmal von Anfang an) unmöglich machen und sich im gewünschten Zeitpunkt aus der Beziehung zurückzuziehen, ohne sich Konflikten, Tatsachen oder dem Partner stellen zu müssen.

Es gibt Schätzungen, dass jeder Zweite, der Bekanntschaften über Soziale Medien schließt, von Ghosting betroffen ist, oder Ghosting schon begangen hat.* 

Die Tatsache, dass vermehrt Menschen Therapeuten aufsuchen, weil sie mit den Folgen von Ghosting nicht klar kommen, ist ein Zeichen dafür, dass die Unverbindlichkeit nicht beiden Partnern klar war oder nicht von beiden gewollt; dass einer der Partner der Meinung war, eine richtige, enge, wertvolle Beziehung zu einem Menschen aufgebaut zu haben. Dass ein Verbundenheitsgefühl und der Glaube entstanden waren, dem anderen wirklich wichtig zu sein. Manchmal hatten beide Partner von Liebe gesprochen oder hatten eine sexuelle Beziehung oder verstanden sich als Paar. Oder gar alles gleichzeitig.

Es gibt durchaus Menschen, die sich angesichts einer solchen Verhaltensweise des Anderen einfach umdrehen können. Im Sinne von „Wer mich nicht liebt, ist mich nicht Wert.“.

Doch die meisten fühlen sich respektlos und gleichgültig behandelt, missbraucht, weggeworfen. Die stattfindende Abwertung wird als „zerstörend“ empfunden. Das Nicht-mehr-erreichen-können des Anderen, die plötzliche Unmöglichkeit von Nähe und Kontakt veranlasst viele zur Aussage „Ich glaube, ich drehe durch!“

Die Suche nach Orientierung und Selbstwirksamkeit bringt die meisten dazu, in der ersten Phase auf allen Kanälen auf die Suche nach dem Verschwundenen zu gehen, gegebenenfalls vorhandene Kontaktpersonen anzurufen, nachzufragen, nachzuspionieren. Manchmal werden sie sogar fündig. Um dann festzustellen, dass Bezugspersonen oder Freunde zur Verleugnung oder zum Schweigen verpflichtet wurden. In manchen Fällen versteckt sich die geliebte Person nicht allzu geschickt oder zu angestrengt. Um dann aber in aller Heftigkeit klar zu machen, dass kein Kontakt mehr erwünscht sei. – Das müsse doch schon längst klar gemacht worden sein…

Immer noch also gibt es keine Erklärung, keine Orientierung; ist keine Auseinandersetzung mit der Situation und dem betroffenen Partner möglich. Doch das Bedürfnis nach Orientierung ist eines unserer wichtigsten Beziehungsbedürfnisse. So wirkt die Erfahrung wie ein Pflug im Feld der Seele der Betroffenen. Nichts bleibt am Ort, nichts ist mehr klar.

Die Unmöglichkeit, den Verschwundenen mit der eigenen Erfahrung zu konfrontieren, ihm zu verstehen zu geben, welchen Schmerz er verursacht, die Unmöglichkeit, die eigene Wirklichkeit mit der Wirklichkeit des Anderen zu vergleichen, keine Informationen über die wirklichen Beweggründe, die Absichten und die Gefühle des Anderen zu haben, machen es für die Betroffenen oft monatelang unmöglich, die Erfahrung zu verarbeiten, die Wunden zu heilen, die Person loszulassen und im eigenen Leben weiter zu gehen.

Die Situation ist eine extreme Belastung für den Selbstwert jeder Person. Ist das Selbstwertgefühl ohnehin schon nicht sehr ausgeprägt, ist ein „Umdrehen und erhobenen Hauptes weitergehen“ oft nicht möglich.

Was kann Dir helfen, wenn Du von Ghosting betroffen bist?

  • Als erstes die Erkenntnis, dass die vordringlichsten Fragen nie beantwortet werden werden. „Habe ich mir selbst etwas vorgemacht? Habe ich mich wirklich dermaßen in diesem Menschen getäuscht? Habe ich die Situation und die vielen Momente so falsch eingeschätzt? Was habe ich falsch gemacht? Habe ich etwas falsch gemacht? Was hat dazu geführt, dass man mich so behandelt?…“ Diese Fragen werden nie beantwortet werden. Auf jeden Fall nicht aus dem Blickwinkel und dem Standpunkt des Verschwundenen. Deshalb hilft es zu einem gewissen Grad, wenn Du, in Ermangelung der Aussicht auf Antwort, die Fragen fallen zu lassen versuchst.
  • Verzichte darauf, darüber nachzudenken, was das Tun des Anderen über Dich aussagt! Was jemand tut, der „ghostet“ sagt nichts über Dich oder Deinen Wert als Mensch aus. Es sagt jedoch sehr viel über denjenigen aus, der Dich so behandelt. Es sagt, dass der Andere nicht mit seinen eigenen Gefühlen oder mit Deinen klarkommt, sich ihnen oder der Situation nicht stellen will oder kann. Er ist sich nicht über die Auswirkung seines Verhaltens im Klaren oder sie ist ihm evtl. einfach gleichgültig. Er ist aber in jedem Fall eines: nicht fähig, eine gesunde, reife Beziehung zu führen.
  • Dann: Versuche, LOSZULASSEN! Es ist schwer, ganz klar. Kleine „praktische“ Schritte sind hilfreich:
  • Versuche die ständigen Kontaktaufnahmeversuche zu beenden. Auch das ständige schauen, ob die Person irgendwo „online“ ist, hält Dich in der Situation gefangen.
  • Rufe nicht immer wieder vorhandene Fotos auf, um Dich an Situationen oder das Gesicht der Person zu erinnern. Lese für eine Weile keine alten Messages oder Briefe, verzichte darauf, Musik zu spielen, die ihr gemeinsam gehört habt. Kreiere Abstand. Alle diese Aktionen würden die alten Gefühle wieder aktivieren, den ganzen Cocktail an Botenstoffen und Hormonen im Hirn, und Du wirst wieder „rückfällig“. (Liebeskummer ist tatsächlich betreffend die Vorgänge im Hirn eine Art „Entzug“ – bis Du darüber hinweg bist, solltest Du also besser von Erinnerungsstücken Abstand halten oder sie vernichten/jmdm zur Verwahrung geben).
  • Versuche, Dich abzulenken, in den Momenten, wo die Situation schwer auszuhalten ist. Damit sind keinesfalls suchterzeugende Aktivitäten oder Stoffe gemeint, sondern Unternehmungen und Aktivitäten, die Dir Spaß machen. 
  • Sorge auch sonst gut für Dich: Tu Dinge, die Du gut kannst, bei denen Du Anerkennung erfährst, Dinge die Dir gut tun, bei denen Du Kontakt zu anderen und zu Dir selbst erlebst und Sinn. Dein Selbstwert ist angeschlagen, er braucht ganz viel “ Futter“ jetzt.
  • Rede mit Freunden oder anderen Personen, die Dir urteilsfrei zuhören. Falls es keine solchen Personen gibt, scheue Dich nicht professionelle Hilfe zu suchen.
  • Gib Dir auch immer wieder Gelegenheit, den Schmerz zu spüren, ohne Dich jedoch hineinfallen zu lassen. „Ich habe Schmerz, ich bin aber nicht mein Schmerz“ ist eine hilfreiche Haltung, die uns ausreichend Abstand nehmen lässt, ohne den Schmerz zu unterdrücken.
  • Manche empfinden es als „Erlösung“, wenn sie realisieren, dass sie nicht Ursache des Verhaltens des Anderen gewesen zu sein brauchen – dann wird plötzlich möglich, dass aus Verzweiflung Empörung wird. Wutausdrücke oder beschimpfende Worte über den Verschwundenen werden dann oft als kurzfristig erleichterne Reaktionen genutzt. Doch auf längere Sicht hilft nur eins: Auch den Groll loszulassen. Groll bindet uns gedanklich und emotional ständig und immer wieder neu an den Anderen. Die Einsicht, dass wir durch das Hegen von Groll Negatives in uns nähren und bei uns behalten, hilft oft, dass das Loslassen etwas leichter wird. Manchmal lässt auch der Gedanke, dass da ein Mensch ist, der „nicht anders konnte“ oder auch in seinem „nicht anders wollen“ einfach keine anderen Fähigkeiten hatte, uns versöhnlich werden und Vergebung möglich. Vergeben ist ein Akt des Willens, doch manchmal braucht es Zeit, bis es möglich ist, diesen aufzubringen.
  • In manchen Fällen wiegt die Trauer über den Verlust des geliebten Menschen schwerer als jede andere Emotion. Schließlich ist da jemand verloren gegangen, der Dir viel bedeutet hat, der wertvoll für Dich war, dessen Existenz Dich ausgefüllt hat. In Gegenwart und in Gedanken. Zeitlich wie auch gefühlsmäßig. Der jetzt eine Lücke hinterlässt. Dieser Verlust verlangt Trauerarbeit, Zeit und Geduld.
  • Zum Schluss: Lehne die Opferrolle blankweg ab. Ganz einfach aus dem Grund, dass ein Opfer dem Tun des anderen ausgesetzt ist. In dieser Rolle bist Du „ausgeliefert“, „hilflos“, „passiv“. Wenn wir uns eingestehen, dass wir zumindest dadurch Täter werden, dass wir von den Handlungen des Anderen unser Befinden abhängig machen, dann können wir in diesem Bereich anfangen, Veränderungen vorzunehmen. Wir müssen uns im Klaren sein: Das Verhalten und die Reaktionen des Anderen können wir nie steuern – sie liegen immer außerhalb unserer Kontrolle. – Aber wie wir mit uns selbst umgehen, ob wertschätzend oder abwertend, das liegt in unserer Hand.

Und so kann vielleicht die Erfahrung, „geghostet“ zu werden zu einer Chance werden.

Einer Chance, Selbstfürsoge zu erlernen. Denn selbst wenn wir tatsächlich keine Möglichkeit mehr haben, die Beziehung zu diesem Menschen zu gestalten, haben wir immer die wunderbare Gelegenheit, die Beziehung zu uns selbst zu verändern: 

  • Besser auf die eigenen Bindungsbedürfnisse zu achten und darauf Rücksicht zu nehmen, wenn wir überlegen, ob ein Partner zu uns passt oder nicht.
  • Die eigenen Bedürfnisse als wichtig genug erachten, um uns den Menschen zuzuwenden, die bereit sind sich mit uns auseinanderzusetzen und auch mit Problemen und Unstimmigkeiten, falls welche auftauchen.
  • Unsere Bedürfnisse klar zu artikulieren und Grenzen setzen zu lernen, freundlich aber bestimmt, dort, wo darauf keine Rücksicht genommen wird oder ihnen ausgewichen wird.
  • Menschen zu suchen, die sich nicht bedroht fühlen durch Nähe, Verantwortungsübernahme oder dadurch, sich verletzlich zu zeigen.

Wir sind alle verletzlich. Und wir können nicht vermeiden, verletzt zu werden. Doch wenn wir Selbstfürsorge an erste Stelle stellen, dürfen wir gleichzeitig verletzlich bleiben und gleichzeitig offen für neue Beziehungen.

Für die 50% Angabe und für weitere Fakten im Post siehe: Jennice Vilhauher Ph.D. „Why ghosting hurts so much“ in www.psychologytoday.com