Vertrauen

Eine Frage, die in meiner Praxis immer und immer wieder gestellt wird, ist die Frage: Wie kann ich vertrauen? Oder auch: Wie kann ich wieder vertrauen? Wie komme ich mit meinem Misstrauen klar? Ich bin auf diesen Aspekt der Angst bereits dort eingegangen, wo ich über Eifersucht gesprochen habe, möchte das Thema Vertrauen hier aber nochmals vertieft betrachten, da Vertrauen eine elementarer Bestandteil von befriedigenden, funktionierenden Beziehungen ist. Gleichgültig, ob es sich um eine neue Beziehung handelt, in der die Basis für Vertrauen noch sehr klein ist, um eine bereits gewachsene Beziehung oder um eine Beziehung, in der Vertrauen missbraucht oder verletzt wurde.

Vertrauen besteht aus zwei Komponenten: die eine lässt sich so formulieren: „Wenn Du Deinen Worten Taten folgen lässt, kann ich Dir vertrauen“. Je länger und je öfter der eine Partner hält, was er verspricht, handelt, wie vorausgesagt und bestätigt, was er hat ahnen lassen, desto leichter fällt es dem anderen Partner, darauf zu vertrauen, dass das Gegenüber im eigenen Sinne oder im Sinne der Partnerschaft handelt. Diese Komponente von Vertrauen, enthält einen gewissen Anteil von SICHERHEIT. Erst wenn sich das Gegenüber positiv verhalten hat, wächst das Vertrauen.

Der anderen Komponente von Vertrauen fehlt dieser Aspekt der Sicherheit. Sie ließe sich am ehesten mit dem Satz: „Ich schenke Dir einen Vorschuss“ beschreiben. Wenn ich einer anderen Person vertraue, WEISS ich NICHT, ob sie sich dieses Vertrauens würdig zeigen wird. Ich habe keine Sicherheit darüber, ob ich enttäuscht werden werde oder alleine gelassen oder verletzt. Ich muss Vertrauen schenken, ohne Gegenleistung. Vorerst.

Wenn es zum Vertrauensbruch gekommen ist, zur Untreue, zum Verrat, dann ist es für die betroffene Person mitunter immens schwierig, Vertrauen als Vorschuss zu schenken. Viele Betroffene in meiner Praxis verzweifeln vielmehr fast an dem riesengroßen Misstrauen, das sich breit macht. Das „Du musst es mir beweisen“ der ersten Komponente von Vertrauen bringen manche noch zustande. Doch wie soll man Vertrauen als Vorschuss schenken, wenn da ständig diese Stimmen einem sagen: „Du bist ja bescheuert, wenn du jetzt einfach wieder vertraust! Du hast ja gesehen, dass er/sie dich betrügt! Wenn du vertraust, wirst du wieder verletzt! Du musst Beweise fordern! Du brauchst Versprechungen/Verträge/Absicherungen!“ Und vor allem: „Du musst kontrollieren!“ – Das Handy, die Mails, jeden Kontakt, jedes Gespräch, jede Bewegung… Jedes Wort und jede Tat wird von nun an auf die Waage gelegt.

EIN NEUES PROBLEM ENTSTEHT: DAS MISSTRAUEN IST MIT IM RAUM.

Wo immer das Paar sich hinbewegt…

Oft Monate nach dem Vertrauensbruch noch genauso vehement, wie kurz danach.

Hier gibt es meiner Ansicht nach zwei Optionen, die sich der misstrauische Partner ganz klar vor Augen halten muss:

Natürlich kann der betrogene Partner, der, dessen Vertrauen missbraucht worden ist, versuchen, den „Täter“ zu beobachten und zu kontrollieren. Er kann verlangen, dass der andere ganz genau Rechenschaft ablegt über sein Tun. Oder dieses stark einschränkt, oder auf „gemeinsames Tun“ beschränkt. Vielleicht muss er sogar auf die eine oder andere Weise Buße tun. Doch wird das das Vertrauen stärken? Wird es verhindern, dass, wenn eine Einladung von außen kommt, zu „streunen“, der Partner untreu wird? – Die Beziehung wird durch ein solches Zusammenleben so stark belastet, dass ich als Therapeutin sagen muss: wohl kaum. Eher im Gegenteil. Wenn eine Beziehung als schlecht empfunden wird, ist die Tendenz, dass ein Partner sich plötzlich einer anderen Person zuwendet, natürlich größer, als wenn beide Partner die Beziehung als erfüllend und befriedigend empfinden. So wird also das, was der misstrauische Partner befürchtet, durch sein eigenes Verhalten viel wahrscheinlicher, tritt am Ende als klassische „Selbsterfüllende Prophezeihung“ ein…

Bleibt nur die zweite Option:

Sich auf die Verbesserung der Beziehung zu konzentrieren. Einerseits auf das, was vor dem Verrat vielleicht gefehlt hat. An Bedürfnisbefriedigung, an Kompetenzen, an Vereinbarungen. Andererseits auf das, was gut läuft, gefällt, eine gemeinsame Basis bietet. Und wenn dies nicht klar ist, sich zu bemühen, dies herauszufinden. Aufzuarbeiten, was schief gelaufen ist. – Wenn dann eine „Einladung zu Streunen“ von außen kommt, dann steht dieser Einladung eine bessere, gefestigtere und befriedigendere Beziehung gegenüber. Und die Wahrscheinlichkeit, dass der Partner treu bleibt, vergrößert sich!

Gleichzeitig steht natürlich oft ein sehr großer Aufwand an Selbstberuhigung, Ablenkung, oft auch an Entwicklung von Selbstbewusstsein und Eigenständigkeit, beim misstrauischen Partner an. Und ein Üben von Vergebung, ja sogar Großmut. – Eine oft wahrhaft große Aufgabe, zu der „Betrogene“ nicht selten erst einmal nicht bereit sind. Oft trifft mich dann die Frage: „Warum muss ICH jetzt die ganze Vertrauens-Arbeit leisten, wo ich doch das Opfer bin?!!!“

Meine Antwort ist immer die selbe: Es ist nicht ganz gerecht… Aber es bleibt kein anderer Weg.

Manchmal braucht es ein paar Anläufe. Manchmal ist der Prozess nicht alleine zu schaffen und professionelle Begleitung ist vonnöten. Manchmal entscheidet der betroffene, betrogene Partner, dass ihm der Aufwand nach den ganzen Verletzungen schlicht zu viel ist. Oder dass er die Kraft nicht hat, diesen Ängsten nicht den Kampf ansagen kann oder will und er lieber aus der Beziehung aussteigt. Dass er sich in ruhigere, sicherere Gewässer begeben möchte.

Natürlich muss der Partner, der das Vertrauen gebrochen hat, jetzt seinen versprechenden Worten nach Besserung Taten folgen lassen und somit die erste Komponente von Vertrauen schaffen. Und natürlich sollte der Vertrauen-schenkende dies nicht zig-Mal wiederholen. (Bei Wiederholungstätern gibt es irgendwann nur noch eine Reaktion: Genügt mir nicht. Ich steige aus.). Doch ohne diese zweite Komponente, den Vorschuss hilft jede Besserung des „Täters“ nichts. Das Misstrauen wird nicht verschwinden, ohne dass das „Opfer“ auch seinen eigenen Beitrag leistet. Manchmal ist Vergeben nicht möglich. Manchmal ist Vergessen nicht möglich. Doch manchmal gelingt der eine Schritt und manchmal sogar beide. Mit einem positiven Seiteneffekt: persönlichem Wachstum.

Damit die Partner sich nicht auf neuer Ebene in Dauerkonflikten finden, gibt es eine Möglichkeit, sich miteinander zu verbinden, die von Paaren oft als sehr hilfreich empfunden wird. Nämlich die, das „Misstrauen“ wirklich als etwas zu betrachten, das der Feind BEIDER Partner ist. Oft sieht sich der schuldige/verdächtigte Partner in einer Situation, wo der andere sozusagen mit seinem Misstrauen verbündet ist, den warnenden Stimmen mehr Gehör gibt als den eigenen Entschuldigungen, Versprechungen und Besserungsbeteuerungen. Er reagiert irgendwann genervt und ohne Zuversicht auf ständige Rückschläge im Vertrauensprozess des Geschädigten. Der misstrauische Partner fühlt sich allein gelassen in einem Zustand, den er nur zum Teil oder gar nicht verursacht hat, unter dem er massiv leidet. Er sieht sich neuerdings auch noch beschuldigt, nicht zum Vorwärtsgehen in der Lage zu sein.

Das Misstrauen als den gemeinsamen Feind zu betrachten, ermöglicht es, in Momenten, wo grüblerische Gedanken und zweifelnde Stimmen zum Bohren, Nachfragen und Kontrollieren zwingen wollen, den Partner zu informieren: „Das Misstrauen ist wieder da, ich komme so schwer dagegen an – Kannst Du mich bitte mal in den Arm nehmen?“ Dies ermöglicht beiden Partnern eine zugewandte Haltung statt eines Rückzugs oder gar gegenseitiger Angriffe.

Und manchmal ist es schon die Lösung für den einen Moment.

Verwandter Blogpost: Eifersucht: Wenn die eigenen Gefühle zum Feind werden.