Achtsamkeit in der Partnerschaft

Umarmung

  • „Immer wieder das gleiche. Ich kann gar nicht anders. Sobald ich das Thema nur rieche, werde ich aggressiv.“
  • „Ich will das gar nicht, aber das passiert so schnell, so schnell kann ich gar nicht denken.“
  • „Das bin gar nicht ich -`es´ reagiert einfach!“

Kommt Ihnen das bekannt vor?

In den meisten Partnerschaften gibt es Themen oder Situationen, die wie ein „rotes Tuch“ funktionieren: Sie ziehen fast magisch unsere Aufmerksamkeit an, wir reagieren darauf reflexhaft und unkontrolliert, meist immer wieder gleich, oft abwehrend, aggressiv oder vermeidend. Die Antwort unseres Partners kommt meist genauso schnell und unüberlegt – ein ganzer Teufelskreis an Reaktionen wird aktiviert und verselbständigt sich.

Da provoziert eine scheinbar harmlose Frage (klassisches Beispiel: „Wo sind denn meine Schuhe/Socken/etc. sind?“) eine Antwort, die einem Vulkanausbruch gleicht („Bin ich denn Deine Mutter?“/“Was glaubst Du denn, wo Du hier bist?“/“Dort, wo Du sie in Deiner Faulheit mal wieder liegengelassen hast!“ und ähnliches).

Manchmal sind es bestimmte Themen (vorzugsweise Sauberkeit und Ordnung, Geld, Schwiegereltern, Kindererziehung u.ä.), manchmal Situationen wie z.B. das nach Hause kommen nach der Arbeit oder der Aufbruch in den Urlaub, die es „in sich haben“.

Auch wenn wir uns dafür ein wenig schämen, wenn wir in ruhigeren Minuten darüber nachdenken; auch wenn wir uns regelmäßig vornehmen, beim nächsten Mal nicht mehr so heftig oder einseitig zu reagieren – beim nächsten Mal ist alles wie gehabt. Die Situation eskaliert, die Kommunikation wird abwertend oder verstummt, keiner fühlt sich gehört oder verstanden und vor allem: keiner fühlt sich wirklich als Herr/Frau der Lage.

Wir sind im Stress.

Wenn wir diese Situationen tatsächlich als Stresssituationen betrachten, sind unsere Reaktionen sogar ganz „normal“.

In der Stressforschung  beschreibt der Begriff der „Präkognitiven Emotionen“ die Erfahrung, dass in bestimmten Situationen heftige körperliche (wie z.B. Herzklopfen, Schwitzen, Muskelanspannung) und emotionale Stressreaktionen so schnell, geradezu reflexhaft, ausgelöst werden, dass überhaupt keine Zeit für gedankliche Abwägungen, Einschätzungen und Entscheidungen bleibt. (Nehmen wir als Beispiel, dass in einer Gegend, wo es Schlangen gibt, etwas gekrümmtes auf dem Weg liegt. Die erste Reaktion entspricht wahrscheinlich erst mal dem, was „eine Schlange!“ auslösen würde.) Die kognitiven Erwägungen erfolgen dann erst in einem zweiten Schritt und erklären sozusagen im Nachhinein, ob die Alarmreaktion überhaupt gerechtfertigt ist. (So wäre im Beispiel des gekrümmten Objekts die Reaktion gerechtfertigt, hilfreich und nötig, wenn es sich tatsächlich um eine evtl. giftige Schlange handelt und Entwarnung wäre gegeben, für den Fall, dass da nur ein Stück Holz auf dem Weg liegt.)

Die moderne Hirnforschung hat tatsächlich entdeckt, dass das lymbische System, das „Gefühlshirn“, den eigentlichen Denkprozessor, die Hirnrinde, durch einen Kurzschluss umgehen kann. Dass emotionale und körperliche Stressreaktionen gewissermaßen den Kognitionen voraus eilen (Joseph le Doux 1999).

Doch was macht die oben beschriebenen Situationen überhaupt zu Stresssituationen für das Paar? Was lässt Socken und Schuhe so wichtig werden? Was „triggert“ uns so?

Wohl das, was wir daraus machen. Die Bedeutung, die die Aussage oder die Situation für uns, oft unbewusst, hat. Viele unserer Reaktionen sind durch unbewusste Vorgänge gesteuert, durch im Unterbewusstsein gespeicherte Erfahrungen oder durch Glaubenssätze, die wir uns im Laufe unseres Lebens eingeprägt haben, deren Existenz wir oft selbst gar nicht wahrnehmen. So kann die Frage nach ein paar Schuhen schnell als ein Appell gehört werden: Du musst für mich sorgen! – Der dann evtl. heftig zurückgewiesen wird. Oder ein Glaubenssatz wie „du musst es allen Recht machen“ führt plötzlich zu einer heftigen Reaktion, weil wir irgendwann überfordert sind, wenn wir ständig diesen Glaubenssatz erfüllen „müssen“.

Andererseits übersehen wir manchmal, dass unser Partner evtl. in dem Augenblick, in dem wir uns begegnen, aus einer „anderen Welt“ auf uns trifft. Vielleicht trägt er gerade noch den ganzen Stress des Tages mit sich herum, ist bereits angespannt, wenn wir aufeinander treffen. Vielleicht stehen wir selbst noch unter dem Druck, den das Verhalten unseres Chefs erzeugt hat oder sind ärgerlich über einen Kollegen, der uns mit seinem Verhalten provoziert hat. Oder der Alltag zu Hause, mit den Kindern, war mal wieder nervaufreibend. Wie auch immer: Weil viele dieser Aspekte unbewusst sind, können wir sie in den entsprechenden Situationen nicht berücksichtigen oder umgehen.

Und so kommt es, dass im Stress nicht nur konfliktgefährdete Situationen und bestimmte Verhaltensmuster, die unsere partnerschaftliche Beziehung prägen, verschärft werden, sondern auch charakteristische negative Persönlichkeitszüge (wer hätte sie nicht!). Wir werden dann buchstäblich zum Prototypen unserer negativen Eigenschaften.

Ist uns zu helfen?

Die konkrete Frage vieler Paare ist: Wie können  wir in Situation x erreichen, dass wir nicht mehr mit Verhalten y reagieren?

Der Paartherapeut Hans Jellouschek empfiehlt, in Situationen, wo das „rote Tuch“ winkt, Methoden aus der Achtsamkeitspraxis zu benutzen, um neuen Handlungsspielraum zu gewinnen. Er folgt damit Viktor Frankl´s Motto:

Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit.

Viktor Frankl

Achtsam sein bedeutet, mit der ganzen Aufmerksamkeit im „Hier und Jetzt“ sein. Zu beobachten, was wirklich ist (nicht, was sein sollte): Wahrzunehmen ohne Veränderungswunsch.

Achtsamkeit in Stresssituationen bedeutet, kurz inne zu halten und wahrzunehmen, was in mir vorgeht, in diesem Moment. Meine innere Reaktion zu beobachten. Was für körperliche Empfindungen habe ich gerade? Sind da ungute Gefühle? Welche Gedanken, Fantasien, Handlungsimpulse habe ich?

Durch Achtsamkeit wird eine Lücke geschaffen, in der die Hirnrinde doch noch zugeschaltet wird. Wenn wir achtsam sind, nehmen wir eine Beobachterposition ein. Dies ermöglicht Distanz, welche wiederum reflektiertes Handeln möglich macht. So können wir uns entschließen, wie wir reagieren möchten. Ob wir den verspürten Ärger rauslassen, uns für eine sachliche Antwort entscheiden oder den Weg einer humorvolle Reaktion gehen, steht uns frei. Da ist aber ein wesentlicher Unterschied: Wir haben die Wahl. Statt des oben beschriebenen „ferngesteuerten“ Zustandes, gelangen wir durch Achtsamkeit in die Position, bewusst zu entscheiden wie wir reagieren wollen.

Damit in Stresssituationen tatsächlich die Möglichkeit besteht, innezuhalten und achtsam zu sein, sind im Vorfeld ein paar wenige Schritte von großem Nutzen:

Das Paar darf wissen, dass es „normal“ ist, zu reagieren, i.e. im Stress „Muster“ zu haben.

Wenn die Partner in einem ruhigen Moment überlegen, welches typische Situationen oder Themen sind, in denen sie immer mit den gleichen Verhaltensweisen reagieren (immer wenn x dann y), dann sind sie besser gewappnet, im konkreten Fall Maßnahmen zu ergreifen. Jellouschek spricht von „roten Ampeln“, von Warnsituationen, -stimmungen, -themen, die die Bedeutung haben „Achtung, gleich sind wir wieder drin!“

Bei aufsteigendem Ärger kann es sehr nützlich sein, diesen mit Verständnis für sich selbst wahrzunehmen und sich klar zu werden, dass in anderen Situationen eine solche Ärgerreaktion durchaus angebracht wäre, dass zudem nur ein Teil von uns verärgert ist, ein anderer Teil gleichzeitig oder zumindest später diese Reaktion evtl. heftig kritisiert. Auch Gunther Schmidt hält es für sinnvoll, als Konferenzleiter seine „inneren Teile“ zu betrachten (Innere Konferenz), im Sinne von: „das bin ich nicht, das ist nur ein Teil von mir“. Um in dieser Beobachterposition die Situation neu zu bewerten. Durch Achtsamkeit entsteht mehr Eigenkompetenz, erleben wir mehr Gestaltungsfähigkeit und mehr Wahlfreiheit.

Ich glaube, dass es eine große Hilfe für Paare in der Beratung ist, neben Kommunikationsfertigkeiten auch Übungen in Achtsamkeit vermittelt zu bekommen. Gerade eben, um den Weg in die Sackgasse zu vermeiden. Achtsamkeitspraxis ist durchaus auch für Menschen attraktiv, die mit Meditation und Spiritualität nichts „am Hut“ haben. Übungen in Achtsamkeit helfen, wieder mehr zu sich selbst zu kommen (Was geht wirklich in mir vor, ganz konkret, gerade jetzt? Welche Wirklichkeit konstruiere ich mir gerade? – aber auch grundsätzlicher: Was entspricht meinem Wesen, wozu kann ich wirklich stehen, wie möchte ich mich verhalten?). Übungen in Achtsamkeit ermöglichen aber auch, durch das „mehr bei sich selber sein“ feinfühliger für den Partner zu werden.

Achtsamkeit in der Partnerschaft gibt uns die Möglichkeit, den Anderen in seinen Gefühlen wahrzunehmen, leichter zu erkennen, was wohl bei ihm grad „ist“.  Optimal natürlich, wenn er selbst achtsam mit seinem „Hier und Jetzt“ umgeht und uns vermitteln kann, was wirklich bei ihm los ist.

So brauchen wir nicht zu deuten, was der Andere wohl meint, welche Wirklichkeit für ihn wohl grad aktuell ist, in welcher „Konstruktion“ er sich gerade aufhält. Achtsamkeit gibt uns die Möglichkeit, den Worten unseres Gegenübers nicht unser Bild, unsere Bedeutung überzustülpen. Sondern die Wirklichkeit des Anderen erfassen zu können und ihm so mit mehr Respekt und Verständnis begegnen zu können.

Mehr zum Thema Achtsamkeitspraxis hier.

Paartherapie bei schwerer Erkrankung eines Partners

Eine schwere, in manchen Fällen chronische, manchmal potentiell tödliche Krankheit eines Partners stellt eine immense Belastung nicht nur für die beiden Partner, sondern auch für die Beziehung dar. Dies gilt sowohl für psychische (z.B. Depression) wie auch körperliche (z.B. Krebserkrankung) Krankheiten.

So ist es in vielen Fällen sinnvoll, neben der ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung des erkrankten Partners, auch als Paar professionelle Hilfe heranzuziehen.

Die Konfrontation mit einer schweren oder chronischen Erkrankung stößt außerordentliche Dynamiken bei beiden Partnern an. Die zuvor in der Beziehung eingenommenen Rollen können nicht mehr erfüllt werden, Aufgaben müssen „umverteilt werden“, neben Angst, Hilflosigkeits- und Überlastungsgefühlen können Schuldgefühle, Ungeduld und Wut auf beiden Seiten auftauchen.

Im Gegensatz zu einer akuten Krankheit ist kein Ende absehbar, was die Gefühle des Ausgeliefertseins und das Empfinden des „nicht mehr Könnens“ verstärkt.

Beide Partner leiden. So brauchen beide, der kranke wie der gesunde Partner, Unterstützung und Beratung. Beide haben das Bedürfnis Wertschätzung und Anteilnahme zu erfahren und ernst genommen zu werden mit ihren Anliegen, Sorgen und Ängsten. Wie sie sich die Partner dies auch gegenseitig geben können, kann Inhalt einer Paartherapie sein.

Unter Umständen haben sich, mit dem schleichenden Beginn der Krankheit, hinderliche Verhaltensweisen und Denkmuster in die Beziehung eingeschlichen, die einen Blick von außen nötig machen, um aufgedeckt werden zu können.

Wurde die Beziehungsqualität schon vor dieser Krise als unbefriedigend beurteilt, so wird die Krankheit manchmal als unüberwindbares Hindernis für das Paar empfunden. Aber auch bei einer als gut empfundenen Beziehung und zusätzlichem guten Willen des gesunden Partners, den kranken Partner nach bestem Können zu unterstützen, kann es in einer solchen Überforderungssituation zu ambivalenter Unterstützung  mit großen Anteilen an Abwertung (z.B. bereitwilliges Helfen mit ständig vorwurfsvollem Gesprächston) oder gar zu feindseliger Unterstützung kommen. Hier ist Klärung nötig und Kommunikationstraining oft schon eine Hilfe.

Eine Tatsache, die sehr oft übersehen wird und die immer wieder zum Scheitern wohlgemeinter Bemühungen führt, ist, dass auch gut gemeinte, empathische Unterstützung dysfunktional sein kann. So lohnt es sich, auch darauf ein Auge zu halten:

Eine schwere Krankheit kann das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen des Betroffenen stark beschädigen. So kommt es oft zu Gefühlen der Hilflosigkeit, Wertlosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Gut gemeinte Zuwendung von Seiten des gesunden Partners, Verständnis, Entlastung, Schonung und Unterstützung werden in solchen Situationen empfunden als Abhängigkeit, Entmündigung, Ungleichgewicht; die eigene Person wird als schwach und dem Gesunden zur Last fallend gesehen. Der gesunde Partner wird als zu mächtig und zu einflussreich empfunden. Dies alles kann dazu führen, dass sich der Kranke noch wertloser, noch hoffnungsloser, noch schuldiger fühlt (diese auch bei Depression typischen Symptome werden dadurch geradezu aufrechterhalten, die Müdigkeit und Antriebslosigkeit in der Folge verstärkt, was wiederum die Selbstkritik und Selbstabwertung vermehrt. Ein Teufelskreis entsteht). Außerdem wird oft die Krankenrolle durch diese Privilegien der Schonung, Fürsorge und Unterstützung noch unterstützt.

So können sich, manchmal ziemlich abrupt, oft aber über Jahre sich einschleichend, Muster entwickeln, die dazu führen, dass die Beziehungsqualität abnimmt, statt wie gewollt sich zu verbessern. Zumal sich der gesunde Partner chronisch selbst überlastet, seine Bedürfnisse und Interessen vernachlässigt, sich immer stärker als unwirksam und hilflos empfindet.

So ist es Bestandteil einer begleitenden Paartherapie, den Partnern zu zeigen, dass konstruktive Unterstützung nicht nur liebevollen, verständnisvollen Umgang meint, sondern auch klares und grenzsetzendes Verhalten auf beiden Seiten verlangt; dass die Selbstpflege des Gesunden genauso wichtig ist und nicht nur einseitige, sondern gegenseitige Unterstützung gefragt ist. Diese Reziprozität ist zentral, um das Gleichgewicht in der Partnerschaft zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Die Annahme, dass der kranke Partner nicht auch ein unterstützender sein kann, weil es ihm zu schlecht geht, kann, wie soeben gezeigt, überaus schädlich sein. Natürlich kann es sich in vielen Fällen nicht um ein 1:1 Geben und Nehmen handeln, das Ziel ist eher ein „so viel wie möglich“.

So geht es in dieser Wechselseitigkeit um gegenseitiges Kommunizieren von eigenen Gefühlen, Überlegungen und Erwartungen (keiner der Partner kann hellsehen!) um ehrliches Feedback und aktives Zuhören. Partnerschaftliche Bewältigung  heißt auch, sich in seinen Schwächen, Ängsten, seiner Traurigkeit und Inkompetenz zeigen zu dürfen.  Es geht um gegenseitiges füreinander Dasein, gegenseitige Unterstützung, gegenseitiges Interesse, gegenseitiges Sich-aufeinander-verlassen-können.

Hier kann begleitende Paartherapie ansetzen.

Jenseits des Problems Krankheit kann nach Lösungen gesucht werden, können Ressourcen gefunden und genutzt werden. Was sind die Stärken des Einzelnen, was sind Stärken der Beziehung, die hier genutzt werden können? Was macht das Paar aus, jenseits des Problems? Die unterschiedlichen Problemlösungsstrategien der Partner wertschätzen zu lernen statt zu kritisieren kann das Problemlösungsrepertoire des Paares erheblich vergrößern. So können emotionale Unterstützung (Mut machen, Wertschätzung, Verständnis) und problembezogene Unterstützung (beim Erledigen von Aufgaben helfen) sich ergänzen, aber auch Ablenkung als Sofortmaßnahme und die Beschäftigung mit hilfreichen Gedanken und positiven Selbstwertüberzeugungen, wie auch die Übernahme von zumutbaren Aufgaben im Alltag als konkrete Maßnahmen. Dies alles muss evtl. zunächst reflektiert und eingeübt werden. Es handelt sich um einen Prozess, der Zeit benötigt, der aber jenseits des partnerschaftlichen Handlings der Krankheit die Möglichkeit in sich birgt, die Beziehung als solches, jenseits der Krankheit, wesentlich zu verbessern.