Neuanfang: Wie wir eine Krise als Chance nutzen

Koordinatensystem

Wenn wir vor einem Neuanfang stehen, sind wir oft einmal orientierungslos. Dies gilt auch für Beziehungen. Manch einer gerät in eine persönliche Krise, wenn eine Beziehung zu Ende geht. Für sich selbst ein Koordinatensystem abzustecken kann helfen, neue Wege zu finden und erste Schritte zu gehen.

Veränderungen machen oft Angst

Veränderungen machen oft Angst. Aus diesem Grund lassen wir die Dinge häufig lieber wie sie sind. Das gilt auch für Beziehungen. Oft auch für unbefriedigende, unglücklich machende, dysfunktionale Beziehungen. Wir leiden; doch was wir haben, kennen wir. Was wir kennen, scheint uns sicherer als das Unbekannte – es könnte ja noch schlimmer kommen.

Manchmal jedoch geraten wir in Krisen. Wir befinden uns plötzlich in Situationen, die uns entgleiten. Vielleicht haben wir sie selbst herbeigeführt, vielleicht auch nur unseren Teil dazu beigetragen. In manche geraten wir ganz unverschuldet (z.B. durch den Tod eines geliebten Menschen). Auch wenn wir uns selbst für die Auflösung einer Beziehung entschieden haben, weil es einfach so nicht weitergehen konnte, können wir in eine persönliche Krise geraten.

Der Boden scheint uns buchstäblich unter den Füßen weggerissen, wir verlieren den Halt. Wir befinden uns gefühlsmäßig in einem Dschungel, in dem wir Gefahr laufen, die Orientierung zu verlieren. Wir werden aus gewohnten Zusammenhängen und Abläufen und vielleicht auch aus weiteren zwischenmenschlichen Verbindungen gerissen.

Egal, ob diese Veränderungen von uns initiiert wurden oder nicht, in solchen Krisen brauchen wir Mut. Mut, den wir der Angst entgegenstellen können. Mit diesem Mut eröffnen wir uns die Möglichkeit, die Krise zu einer Chance werden zu lassen: Einer Chance zur Veränderung. Einer Chance für persönliches Wachstum.

Mut zu haben bedeutet erst einmal, die Herausforderung anzunehmen.

Schritte persönlicher Veränderung

Manch einer mag sich fragen: Wie erlange ich diesen Mut? Aus therapeutischer Sicht ist es hilfreich, einige der Schritte etwas näher zu betrachten, die zu persönlicher Veränderung führen können und diejenigen Prozesse ins Auge zu fassen, die förderlich sind, um missliche Lagen als Chance zu nutzen. Sie sind sozusagen die Koordinaten an die wir uns immer wieder halten können, wenn wir Orientierung suchen.

Achtsam sein, Schmerz annehmen, Klarheit gewinnen

Als erstes ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, was gerade passiert, hier, jetzt, in dem Moment, wo wir den Boden unter den Füßen zu verlieren glauben. Achtsam sich selbst zu betrachten. Vielleicht können wir uns eingestehen, dass wir gerade einen Verlust erleiden (auch wenn eine Trennung vielleicht befreiend wirkt, bedeutet das Realisieren, in einer Beziehung gescheitert zu sein, oft einen großen Verlust: den Verlust einer Hoffnung, eines Bezugssystems, manchmal eines Lebensplanes). Dann können wir den Schmerz darüber annehmen. Schmerz anzunehmen heißt nicht, ihn mit einem „Hurra!“ willkommen zu heißen oder umgekehrt, darin zu versinken. Schmerz anzunehmen bedeutet, wahrzunehmen, dass mir da etwas wirklich weh tut. Dieses eingestehende „ja, so ist das“, das wertfreie Beobachten dessen, was ist, lässt uns Abstand nehmen, führt uns zu größerer Klarheit. Diese Klarheit bedeutet auch, sich bewusst zu werden, dass alles, was lebt, im Wandel ist. Dinge verändern sich. Auch unsere Beziehungen, auch wir selbst. Achtsam sein mit uns selbst hilft uns, die Situation, in der wir uns befinden und uns selbst, mit unserer Angst, mit unserem Schmerz zu akzeptieren und anzunehmen. Achtsam sein bedeutet in diesem Moment, auch die bestehenden Probleme nicht zu verdrängen, sich andererseits auch in diesen nicht zu verlieren – aber: sie zu betrachten, zu versuchen sie zu benennen, um dann, aus der entstehenden Distanz heraus, feststellen zu können, was wir brauchen und wollen oder eben nicht mehr wollen.

Akzeptanz

Akzeptanz ist ein weiteres wichtiges Element für Veränderung. Sich selbst zu akzeptieren, aber auch den Anderen. Mit allen Unzulänglichkeiten und Unmöglichkeiten. Wenn es uns gelingt, das Gute im Vergangenen zu würdigen und uns selbst und dem Anderen zu verzeihen, dann wird Loslassen möglich. Die Sicht, dass jeder Mensch in einem bestimmten Augenblick das Beste tut, was ihm in diesem Augenblick möglich ist, kann das Verzeihen erleichtern. Manchmal ist es (noch) nicht möglich, dem Anderen zu verzeihen, dann mag es hilfreich sein, sich selbst anzunehmen, als jemanden, der noch nicht verzeihen kann. Das Gute im Vergangenen würdigen, bedeutet nicht nur Dankbarkeit für die schönen Momente und für das, was wir erleben durften. Es bedeutet auch, die Lektionen zu achten, die uns das Leben gelehrt hat, wie auch die Person, die sie uns beigebracht hat. Wenn wir diese Dankbarkeit empfinden können, kann uns das in schwierigen Situationen helfen, uns den zu bewältigenden Aufgaben, dem Neuen zuzuwenden, statt dem Alten anzuhaften. Festhalten, Kontrolle und der Versuch zu manipulieren, bringen nur neuen Schmerz. Wenn es gelingt loszulassen, dann wird der Blick nach vorne frei.

Der Blick nach vorne bedeutet: Motivationen zu suchen, Ressourcen aufzuspüren, ein Ziel anzuvisieren.

Motivationen und Ressourcen suchen

Hier wird nun ganz wichtig, unsere Wahrnehmung auf das Hilfreiche, Förderliche, Vorwärtsbringende zu richten. Wir können Dinge und Situationen stets von verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Wir nehmen sie unterschiedlich war, je nachdem, worauf wir achten, welche „Brille“ wir tragen, wie wir das, was wir sehen bewerten.

Wenn mein Partner mich verlässt, weil er mich nicht mehr liebt, kann ich das als großes Unglück sehen, als Abwertung, als Verletzung, als Zeichen, versagt zu haben, nicht wertvoll  oder wichtig genug zu sein oder gar als Schande.

Ich kann es aber auch als Chance sehen, mir einen neuen Partner zu suchen, der besser zu mir passt, der mehr auf mich eingeht, mich mehr respektiert. Und mich befreit fühlen von einer unglücklichen Beziehung, die ich vielleicht selbst nie verlassen hätte. Vielleicht gelingt es mir sogar, mir bewusst zu machen, dass ich, obwohl mich mein Partner nicht mehr liebt, dennoch ein liebenswerter Mensch bleibe; und er auch.

Dies nur als Beispiele für Bewertungen, die wir vornehmen könnten. Was in jedem Fall zutrifft: wir werden uns entsprechend der vorgenommenen Bewertungen fühlen. Traurig, wütend, beschämt einerseits oder glücklich, gelassen, befreit andererseits.

Es ist also hilfreich, sich ein Bild zu machen darüber, wie wir uns unsere Wirklichkeit konstruieren. Das braucht etwas Übung. (Manche dieser Betrachtungsweisen werden uns vielleicht nie klar, wir betrachten schließlich gewisse Dinge schon einen großen Teil unseres Lebens in gleicher Weise!). In dem Moment, wo wir einen Neuanfang machen wollen, ist es aber äußerst wichtig, unsere Aufmerksamkeit auf solche Sichtweisen und Bewertungen zu richten. Wenn ich glaube, dass ich etwas schaffe, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass eben dies eintrifft um ein Vielfaches größer, als wenn ich von vornherein glaube, das was ich vorhabe, sei aussichtslos!

Wer erfolgreich neue Wege gehen will, richtet seinen Blick ganz bewusst auf das, was ihn unterstützt und motiviert, was ihm Halt gibt und Kraft. Was brauche ich gerade? Wie kann ich es erreichen? Was würde mir Freude machen, mich entspannen, was mir helfen, diese schwierige Aufgabe zu bewältigen? Welche Personen bauen mich auf, können mir als Vorbild dienen, welche Kontakte sollte ich im Augenblick eher meiden, weil sie mich zu viel Energie kosten? Welche Fähigkeiten habe ich, die mich weiterbringen? Welche Erfahrungen habe ich schon gemacht, die mir jetzt helfen können? Gab es schon ähnliche Situationen, die ich erfolgreich gemeistert habe und wie ist mir das gelungen?

Mit diesen Hilfen im Gepäck können wir unseren Fokus auf einen neuen Weg, ein neues Ziel richten.

Ein neues Ziel vor Augen

Wenn wir wissen, was uns stärkt, motiviert, Freude bereitet, dann ist das oft schon ein Hinweis darauf, wohin der Weg gehen soll. Sich konkret ein Ziel vor Augen zu halten, ist ein nächster Schritt. Denn: nur wenn ich ein Ziel habe, kann ich ein Ziel erreichen! Wo will ich enden? In welcher Situation, Umgebung, Gesellschaft, Beschäftigung? Welche meiner Eigenschaften und Vorlieben sollen Raum erhalten?Welche Werte sollen dort zum tragen kommen, welche Bedürfnissen soll Rechnung getragen werden? Allzu oft wurde vor der Krise nur der Frage gefolgt „Genüge ich?“. Die Fragen „Genügt es mir?“ oder „Was entspricht mir?“ sind aber genauso wichtig, wenn wir dauerhaft glücklich sein wollen. Nun ist Gelegenheit dazu, die Krise als Chance zu nutzen!

Wer erfolgreich Veränderungen vornehmen will, hat mit dem Annehmen der eigenen Persönlichkeit und dem Akzeptieren der Situation, dem Loslassen von dem, was loszulassen ist und dem Ziel vor Augen, wohin der Weg gehen soll, den hilfreichen Gedanken und der förderlichen Wahrnehmung schon ein taugliches Koordinatenpaket geschnürt, mit dem er sich auf den Weg begeben kann. Nun ist es wichtig, sich auch entschlossen in Bewegung zu setzen.

In Bewegung kommen

Etwas zu verändern, in Bewegung zu kommen, bedeutet: aktiv daran zu arbeiten. Wir selbst sind verantwortlich. (Egal, ob wir Schuld an Vergangenem haben oder nicht, für Zukünftiges tragen wir Verantwortung.) Das kann heißen: Kontakte knüpfen, um Hilfe bitten, Unterstützung organisieren, sich ablenken, wo Ablenkung kurzfristig nötig ist. Um dann wieder beherzt einen nächsten Schritt zu tun. Neue, ungewohnte, beängstigende Situationen aktiv anzugehen, braucht, wie gesagt, Mut. Gerade wenn Schritte anstehen, die uns Angst einflößen, müssen wir uns bewusst machen, dass Angst zurückweicht, wenn man ihr in die Augen schaut. Das bedeutet: Die Aufgabe als Herausforderung betrachten, statt als Bedrohung, um diese dann in „kleinen Portionen“ zu bewältigen. Kleine Schritte gehen! Mit jeder beängstigenden Situation, der wir uns einmal gestellt haben, wird es leichter.

Gnädig uns selbst gegenüber

Wenn wir merken, wir kommen nicht weiter, betrachten wir wiederum achtsam die Situation: Was passiert gerade? Wo habe ich einen nicht hilfreichen Blickwinkel eingenommen? Trage ich gerade die falsche „Brille“? Oder habe ich vielleicht noch nicht wirklich gesehen, was zu verändern ist? Vielleicht müssen wir uns auch wieder in Selbstakzeptanz üben und uns für den Moment eingestehen, dass wir uns das zwar wünschen würden, aber zu einem bestimmten Schritt noch nicht ganz bereit sind. Seien wir gnädig mit uns.

Wir brauchen nicht zu versuchen, etwas zu erzwingen. Tun wir die Schritte, die in dem Moment gerade etwas leichter fallen, werden die anderen folgen. Wir dürfen darauf vertrauen, dass gewisse Prozesse von selbst ablaufen, wenn wir sie zulassen. Immer im Bewusstsein, dass wir dahin kommen, wohin wir uns ausrichten, wohin wir steuern.

Wenn wir im Augenblick noch keinen Mut finden, nicht loslassen wollen, nicht verzeihen wollen, dann dürfen wir uns für den Moment getrost eingestehen, dass das so ist. Dann dürfen wir uns selber als jemanden akzeptieren, der noch nicht vorwärts gehen kann. Wertfreie Akzeptanz, dass gewisse Dinge sind, wie sie sind, schafft Klarheit. Klarheit ist der erste kleine Schritt zur Freiheit, Entscheidungen zu treffen.

Manchmal hilft es, auf dem Weg durch die Krise jemanden an der Seite zu haben. Einen Freund, ein Familienmitglied, einen Coach, einen Berater. Wohlwollende Unterstützung und der Blick von außen machen manche Schritte einfacher.

Doch manchen reicht die aussichtsreiche Perspektive, das Ziel am Ende des Weges, um den Mut zu fassen, die Herausforderung anzunehmen, die Veränderung zu wagen, sich auf den Weg zu machen, im Vertrauen darauf, anzukommen. Die Krise als eine Chance zu nutzen.

Mindful Sex II

Mindblowing Sex = Mindful Sex? Guter Sex und Achtsamkeit, Teil II

In Teil I dieses Blogposts wurde untersucht, was Guter Sex generell mit Achtsamkeit zu tun hat. Es wurde anhand der Ergebnisse von breit angelegten Studien gezeigt, dass das, was viele Menschen als „Mindblowing Sex“ empfinden, tatsächlich „Mindful Sex“ ist, achtsamer Sex. Eine Begegnung im Hier und Jetzt, mit der vollen Präsenz beider Partner, in einem Raum frei von Urteilen, offen, neugierig und gelassen demgegenüber, was geschehen wird. In diesem Teil möchte ich ein paar Beispiele geben, wie die Integration einer achtsamen Geisteshaltung zu neuen Betrachtungsweisen, Interaktionsmöglichkeiten und einer neuen Qualität von intimem Erleben führen kann und gleichzeitig, wie die achtsame Gestaltung von Sexualität mit Tools aus der Achtsamkeitspraxis konkret aussehen kann. Um den Rahmen dieses Textes zu kennen, macht es Sinn, Teil I gelesen zu haben.

Sexualität und Achtsamkeit, wie sieht das praktisch aus?

Wie soll das praktisch aussehen, die Verbindung von Sexualität und Achtsamkeit? Bei der Überlegung, wie man Menschen helfen kann, diese Attribute, die so viele Menschen „gutem Sex“ zuschreiben, zu verwirklichen in ihrer eigenen Sexualität, stellen alle Sex-Praktiken/Übungen/Spielvarianten nur die „Kür“ dar. Wir kommen nicht darum herum, uns zunächst der „Pflicht“ zu stellen. Wir brauchen die Basis-Werkzeuge. Das ist mein Ansatz hier. Da abstrakter Theorie oft die Anschaulichkeit fehlt, möchte ich hier einen bunten Blumenstrauß von konkreten Beispielen aus der Paartherapeutenpraxis darbieten. Zusammengepflückt und am Ende hoffentlich doch ein Bouquet.

Dazu müssen wir bei der Betrachtung noch einen Schritt weiter wegtreten vom Ort des Geschehens. Um einen noch klareren Blick von außen auf die Sache zu haben. „Guter Sex“ hat nicht nur mit Sex-Praktiken erst mal nicht viel zu tun. Er hat zunächst noch nicht einmal etwas mit partnerschaftlicher Sexualität zu tun und, um noch etwas weiter zu gehen, hat er erst einmal gar nichts mit einem Partner zu tun, sondern mit uns selbst und das noch nicht einmal nur im sexuellen Bereich. Damit Sex die ganzen Attribute, die in Teil I aufgeführt werden enthält, brauchen wir meiner Meinung nach zu allererst ein achtsames Mindset. Eine Kombination der Fähigkeit, durch Achtsamkeits-Tools einen achtsamen Zustand herbeizuführen (State) mit einer achtsamen Geisteshaltung (Trait).

Achtsamkeits-Tools

Fokussieren

Gehen wir doch gleich in medias res, zu einem der häufigsten Themen betreffend erfüllter Sexualität: Mangel an Erregung. Wenn zum Beispiel mitten im Liebesspiel die sexuelle Erregung unterbrochen ist (in diesem Fall unwichtig bei welchem Partner), ist das für viele Menschen das „Aus“ für die augenblickliche Begegnung. Die Feststellung „die Erregung ist weg“ wird nicht selten ganz einfach als Fakt akzeptiert, der sexuelle Kontakt entweder sofort abgebrochen oder oberflächlich weitergeführt, während die Gedanken sich weiter mit dem beobachteten Verlust und dessen Bedeutung beschäftigen. Wenn wir uns aber im Klaren sind, dass vor jedem Gefühl und jeder Körperreaktion ein bewusster oder unbewusster Gedanke/Glaubenssatz steht und stand, dass es völlig normal ist, dass Gedanken kommen und gehen und unser Geist sich ständig selbst beschäftigt, bekommt die Feststellung, dass Erregung „flöten“ gegangen ist, eine neue Bedeutung. Sie bedeutet erst einmal nur: da war ein Gedanke. Bewusst oder unbewusst. Ein in Meditation oder Atembeobachtung geschulter Mensch hat da nun ein wunderbares Werkzeug zur Hand. Er fokussiert.

Fokussieren bedeutet Aufmerksamkeit lenken. Fokussieren bedeutet „Ich nehme wahr, dass ich abgelenkt bin – ich lasse jede Bewertung los – ich führe meine Aufmerksamkeit zurück“

Wenn es gelingt, ganz ohne Bewertung zu beobachten „Ah. Die Erregung ist weg“ und die Aufmerksamkeit wieder dem zuzuwenden, womit ich mich gerade beschäftigt habe, dann entspricht das beim Meditieren der Aktion, alle Gedanken wie ein Geräuschteppich in den Hintergrund treten zu lassen und die Aufmerksamkeit wieder auf den Atem zu lenken.

So kann beim Sex die Aufmerksamkeit wieder zurückgeführt werden zu den Empfindungen auf der Haut, zu Geräuschen, zu dem, was gerade jetzt passiert zwischen uns und unserem Partner (ohne Bewertungen wie „Erregung weg heißt ´keine Lust´“ mit vielfältigen folgeschweren Implikationen). So bekommen Erregung und Lust Gelegenheit, wieder aufzusteigen. Sexuelle Erregung ist rekursiv. Sie kann wieder kommen. Geschlechtsunabhängig. Wenn wir das Werkzeug des Fokussierens beherschen, dann kann daraus eine Haltung der Gelassenheit werden, die uns viel offener und unbeschwerter dem Thema Sex gegenüber sein lässt.

Lustlosigkeit oder fehlende Erregung sind kein Versagen. Aber sie haben uns etwas „zu sagen“. Und darauf sollten wir achten. Achtsam mit sich selbst umgehen heißt deshalb auch, in einer neutralen Situation die Gedanken/Glaubenssätze, die uns beim Sex im Wege stehen, genauer zu betrachten. Genauso wie wir sie während des Sex ziehen lassen sollten, macht es Sinn, Bewertungen bei anderer Gelegenheit wieder her zu holen und zu untersuchen.

Beobachten, untersuchen, Fragen stellen

Eines der Ziele von Achtsamkeit ist, zum Beobachter zu werden. Zum Beobachter, der ohne Bewertung nur wahrnimmt, was geschieht.

Unseren Sex zu dem zu machen, was wir uns wünschen, gelingt am einfachsten, wenn wir uns selbst immer wieder beobachten und reflektieren, unsere eigenen Gedanken und Interpretationen untersuchen und uns Fragen stellen.

Habe ich Annahmen, die mich hindern, alles zu bekommen, was ich mir wünsche? Sind da Gedanken, die dem im Wege stehen, wie zum Beispiel

  • Dass unser Sex nicht gut ist, liegt daran, dass mein/e Partner/in nicht weiß/sieht/begreift, was ich brauche.
  • Wenn mein/e Partner/in mir nicht gibt, was ich mir wünsche, dann habe ich keine Chance auf guten Sex/ dann ist sie/er ein „Versager“ betreffend Sex.
  • Wenn ich beim Sex die Lust verliere/die Erektion verliere, dann ist es mit dem Sex „gelaufen“ (wie gerade oben beschrieben).
  • Ich muss Lust auf Sex haben, damit der Sex gut wird.
  • Ich bin eben kein erotischer Mensch/ich habe das mit dem Sex einfach nicht drauf.
  • Um guten Sex zu haben, muss ich erst abnehmen/Muskeln zulegen/Unperfektes verstecken/loswerden.

Fragen stellen bedeutet offen sein. Fragen stellen bedeutet aber auch „in Frage stellen“. Es bedeutet, immer wieder Gedanken, Urteile, Annahmen, Glaubenssätze auf ihren Wahrheitsgehalt („ist das wirklich so“?) oder ihren Nutzen („ist das ein hilfreicher Gedanke“?) zu untersuchen. Es bedeutet, einen Schritt zurückzutreten, sich selbst zu beobachten in der eigenen Gedankenwelt. Wo beurteile ich? – Mich? – Meinen Partner? – Wo verurteile ich? – Mich – Meinen Partner? – Was würde passieren, wenn ich diese Urteile loslassen würde? Welche Möglichkeiten würden sich öffnen, mein Verhalten und meine Reaktionen betreffend? Welche neuen Gefühle werden möglich, wenn ich einen neuen Blickwinkel einnehme?

Was wir denken, liegt erst einmal nicht in unserem Einflussbereich. Welche Gedanken uns anfliegen, können wir nicht steuern. Was wir damit tun sehr wohl. Für viele Menschen ist das erst einmal neu. Oft wird ein Gedanke als Wahrheit anerkannt. Genauso ist es mit Glaubenssätzen. Was uns von klein auf eingeimpft wurde, nehmen wir oft als Tatsache hin, oder bemerken nicht einmal, dass unbewusste Annahmen uns steuern. Hier langsamer zu werden kann einen Riesenunterschied machen.

Achtsamer Umgang mit dem eigenen Körper

Achtsamer Umgang mit uns selbst bedeutet aber auch, mit dem eigenen Körper achtsam umzugehen. Wie reagiert mein Körper auf Berührung, was tut mir gut, was muss ich erst lernen zu genießen, wo setze ich mich selbst unter Druck und wo habe ich Vorurteile? Habe ich Meinungen, die ich nie hinterfrage, weil sie von mir selbst stammen? Oder weil andere sie auch teilen? Die Frage: „Ist das wirklich so?“ ist manchmal sehr provokativ, wenn ich sie als Therapeutin stelle. Fast jedes Mal lohnt es sich aber, sie in den Raum zu geben. Sehr verbreitete Meinungen betreffen z.B. den Orgasmus der Frau. Oft ist die Meinung: beim Geschlechtsverkehr kann ich nicht kommen. Oder: ich kann nur durch Selbstbefriedigung einen Orgasmus haben, weil mein Partner das nicht richtig macht. Oder: ich kann nur in einer ganz bestimmten Stellung kommen.

Ja, das mag alles sein. Aber wir sind auch konditionierte Wesen. Wir lernen. Ständig. Verhalten. Reaktionen. Bedingungen, unter denen wir bestimmte Gefühle und Körperreaktionen haben. Unser Körper ist oft zu so viel mehr in der Lage als wir ihm zutrauen. Auch: umzulernen.

Wenn ich auf eine bestimmte Art und Weise Lust empfinde, kann ich meinem Partner/meiner Partnerin zeigen, was mir am besten gefällt. Wenn dies aber nicht erfolgreich ist, ist die Interpretation „dann kann ich keine Lust/Befriedigung erlangen“ genau das: eine Interpretation. Nicht die einzig mögliche Interpretation und schon gar nicht die Wahrheit. Eine weitere Möglichkeit, die viele Menschen überhaupt nicht in Betracht ziehen, ist, sich die Chance zu geben, unter anderen Bedingungen auch Lust und Befriegigung zu erfahren. Dazu muss ich evtl. bei der Masturbation die Stellung einnehmen, die ich im Zweier-Sex einnehme und mich so aus meiner gewohnten Solo-Sex-Stellung „raustrainieren“. Ein weiteres sehr häufiges Beispiel betrifft das Umlernen von Körperhaltungen und visueller Stimulation, wenn z.B. Pornofilm-Reize zur Voraussetzung für Gelingen geworden sind.

Achtsamkeit bedeutet auch: Offenheit, Neugierde, Kreativität, Anfängergeist. So kann die Welt plötzlich vollkommen anders aussehen.

Achtsamer Umgang mit sich selbst und dem eigenen Körper bedeutet aber auch: Selbstannahme und Akzeptanz von Imperfektion. Eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt. Oft ist es so, dass die Partner überhaupt kein Problem mit der Figur, dem Gewicht, dem Aussehen der selbstkritischen Person haben. Sie leiden aber sehr darunter, dass das Selbstbild und der hohe Anspruch der selbstkritischen Person verhindern, dass diese Freude am Sex hat. Wenn das Begehren des Partners nicht als Bestätigung für die eigene Attraktivität angenommen werden kann, dann führt das nach einiger Zeit zu großer Frustration beim Partner. Selbstakzeptanz ist ein weiter Weg, für ganz viele Menschen. Und manchmal ist damit zuviel verlangt. Wichtig finde ich, dass wir bemerken, was sich abspielt. Das ist der achtsame Weg. Ein „ich habe keine Lust beim Sex, weil ich so selbstkritisch bin und wenn ich keine Lust beim Sex habe, habe ich auch keine Lust auf Sex“ ist nunmal eine vollkommen andere Aussage als „ich habe eben nicht den gleichen Sex-Drive wie Du“. Und somit eine andere Ausgangslage. Achtsamkeit ist also nicht nur wichtig beim Erkennen und Formulieren von eigenen Bedürfnissen, sie ist auch immens wichtig um zu erkennen „worum es denn eigentlich geht“, wenn Stolpersteine auf dem Weg zu erfülltem Sex liegen.

Erotische Empathie

Empathie betreffend Sexualität und Erotik ist ein wichtiger Faktor, um nicht in Grabenkämpfen und „Rechthaben-Debatten“ zu enden. Um überhaupt erst in der Lage zu sein, miteinander „ins Schwingen zu kommen“. Erotische Empathie bedeutet, sich auch mal in die Schuhe des anderen zu stellen, sich dessen Blickwinkel zu eigen zu machen und mitfühlend-wohlwollend die Bedürfnisse und Bedeutungsgebungen des Partners als gleichwertig neben den eigenen bestehen zu lassen.

Das bedeutet, wenn wir das Beispiel von oben nochmals betrachten, zu akzeptieren und für „wahr“ und bedeutungsvoll zu erachten, dass mich mein Partner attraktiv und begehrenswert findet, auch wenn ich mich selbst grundsätzlich/in einer bestimmten Situation/in einem bestimmten Zustand nicht attraktiv finde. Wenn mein Partner Kohlsuppe super lecker findet, werde ich auch nicht hingehen und behaupten: nein, das kann nicht sein, Kohlsuppe kann man nicht lecker finden. Ich werde nicht umhin kommen, zu akzeptieren, dass er Kohlsuppe als Delikatesse empfindet und Freude daran hat, sie zu vernaschen. Wenn ich jedoch die Kohlsuppe bin, die sich selbst als „un-lecker“ empfindet und definitiv nicht vernascht werden möchte, wird es schwieriger. Denn ich habe ja auch Bedürfnisse. Und ich sollte tunlichst vermeiden, Situationen zu erleben, die mich negativ prägen für die Zukunft. Also braucht es manchmal doppelte erotische Empathie. Einen Kompromiss sozusagen.Wenn mein Partner findet, ich rieche super lecker nach dem Sport und sein Begehren durch eben diesen Zustand angeregt wird, ich jedoch selbst in einen Schamzustand gerate dadurch, dass ich glaube, nicht sauber zu sein, dann ist ein kleines „Adjustment“ oft die pragmatische Brücke zwischen den beiden Bedürfnissen. Ein „Hej, gib mir 5 Minuten“ und ein sich-in-Ordnung-bringen ermöglicht plötzlich, dass körperliche Annäherung möglich wird. Erotische Empathie, dem anderen und sich selbst gegenüber, ermöglicht den Shift von simpler Aversion zu investigativem Genauerhinschauen und kreativen Lösungen.

Erotische Empathie zu üben, kann so weit führen, dass Partner akzeptieren können, dass es Dinge/Eigenschaften/Praktiken gibt, die der eine gut findet, der andere aber nicht oder sie nicht erfüllen kann oder will. Dass gleichzeitig diese Tatsache aber nicht bedeutet, dass die Partner das alles voneinander brauchen oder einander erfüllen müssen. So muss zum Beispiel der Pornokonsum des einen Partners nicht mehr als Bedrohung/Konkurrenz zu dem gesehen werden, was man selbst zu bieten hat, sondern als eine Vorliebe, die eventuell sogar Bereicherung in das Sexualleben bringen kann – ohne dass man selbst in Gefahr läuft „nicht zu genügen“. Wir sind tatsächlich sehr verletzbar im Bereich Erotik/Sexualität. Erotische Empathie bedeutet achtsam sich an die Welt des Partners heranzutasten, neugierig zu erfahren, welches Sexuelles Profil (wie der Sexualtherapeut Ulrich Clement es nennt) der andere wohl zeigen wird, frei von Bewertung und Urteilen.

Achtsame Geisteshaltung

Eine achtsame Geisteshaltung zu haben bedeutet konkret, so oft achtsame Momente zu leben, so oft achtsam zu reagieren, dass diese Praxis zu einer Charaktereigenschaft von uns wird, eine allumfassender „Zug“. Der Begriff der Intimität ist ein geeigneter Bereich von Sexualität, dies darzustellen.

Intimität

Wenn der Rahmen, in dem die sexuelle Begegnung stattfindet ein Intimer ist, dann ist ein weiterer Faktor vorhanden, erfüllten Sex zu erleben. Intimität beim Sex ist ein wichtiger Rahmen dafür, dass Erregung, Begeisterung, „Thrill“ stattfinden können. Sicherheit und Bindung sind wichtige Pfeiler für uns Menschen, wenn es darum geht, dass wir es wagen, wir selbst zu sein, uns zu zeigen, loszulassen. Intimität bedeutet, ich darf mich verletzlich zeigen, mich öffnen und kann gleichzeitig darauf vertrauen, dass dies weder im gegenwärtigen Moment noch zu einem späteren Zeitpunkt dazu verwendet wird, mich zu verletzen oder in einer anderen Art und Weise misbraucht wird. Doch Intimität beschränkt sich nicht auf Sexualität, im Gegenteil, Intimität beim Sex, wird erst wirklich möglich, wenn wir generell Intimität möglich machen in unserer Beziehung. Hier gilt:

Die Sex-Arbeit fängt nicht erst an der Tür zum Schlafzimmer an, sondern im Wohnzimmer

Ich benutze diese Schlafzimmer-Wohnzimmer-Metapher nicht, weil ich annehme, dass Sex im Schlafzimmer stattfindet, sondern weil sie immer wieder hilfreich ist, zu zeigen, dass Sexualität (das Schlafzimmer-Geschehen) in vielen Facetten eine Fortsetzung/Folge der anderen Beziehungsinteraktionen (des Wohnzimmer-Geschehens) ist.

Wie wir miteinander umgehen im Alltag, in nicht-sexuellen Situationen, bildet die Basis für sexuelle Begegnungen. Da gehört der freundliche Ton genauso dazu, wie die Akzeptanz der Andersartigkeit unseres Partners. Intimität ensteht durch sich in den Anderen hineinversetzen können, auch mal seine Perspektive einnehmen können, seine Handlungen wohlwollend interpretieren können. Intimität entsteht durch eine zugewandte, großzügige, dankbare Haltung dem Partner gegenüber. Dankbarkeitspraxis wie zum Beispiel das führen eines Dankbarkeitstagebuches oder die Übung von Verbundenheit und Großzügigkeit durch Metta-Meditation sind da wunderbare Achtsamkeitswerkzeuge. Intimität entsteht andererseits auch durch freundlich-zugewandtes Grenzen setzen und Grenzen wahren. Sich selbst sein und bleiben dürfen ist wichtige Voraussetzung, um offen und verbunden zu bleiben. (Eigenständigkeit ist genauso wichtig wie Verbundenheit, siehe unten bei Thrill).

Lies bitte den obigen Abschnitt ganz langsam nochmals. Es ist viel verlangt.

Die Tatsache, dass Beziehungen von selbst schlechter werden und in guten, als befriedigend empfundenen Beziehungen einer einzelnen negativen Interaktion fünf (!) positive Interaktionen gegenüberstehen (Studien des Gottman Institutes) hält uns vor Augen: Gute Beziehungen sind Arbeit. Arbeit, die wir am besten auf alle Bereiche unseres Zusammenseins verteilen. Da gehört Initiative dazu und auch eine gehörige Portion Einfallsreichtum – also eine wunderbare Übungsfläche für den sexuellen Raum.

Umgekehrt lässt sich der sexuelle Raum sehr gut auf die anderen Räume ausweiten:

Simmering, der ganze Tag ist ein Vorspiel

„Simmering“ (manchmal auch „slow burn“) ist ein sexualtherapeutischer Begriff, den ich besonders mag. Simmering bedeutet so viel wie „köcheln“. Im sexualtherapeutischen Gebrauch bedeutet es, Erotik in den Tag zu integrieren, das „sexuelle Zusammensein“ zeitlich und örtlich auszuweiten auf den ganzen Alltag. Begehren „warm zu halten“. Es bedeutet, Berührungen wertzuschätzen, Körperlichkeit zu kultivieren, Erotik Raum zu geben auch in eigentlich nicht erotischen Momenten. Es kann bedeuten, einander „heiß“ zu küssen, obwohl völlig klar ist, dass darauf nichts weiter folgen wird, weil beide Partner auf dem Sprung in die Arbeit sind. Es kann bedeuten, einander während des Tages nicht nur Einkaufslisten zu texten sondern auch einmal eine kleine Aufmerksamkeit (von liebevoll über anzüglich bis offen sexuell konnotiert). Es kann bedeuten, anstelle von genervt zu reagieren – weil es nun wirklich nicht passend ist und definitiv keine Zeit dafür – eine anzügliche Hand auf dem Hintern oder eine Umarmung beim Kochen als Kompliment aufzufassen und mit einem „Schön, dass Dir mein Hintern immer noch gefällt!“ zu kommentieren, statt mit einem „Lass das!“ oder einem „Du denkst immer nur das Eine!“. Es bedeutet, einen Annäherungsversuch im Beisein von Kindern nicht flapsig oder genervt abzuwimmeln, sondern, im Bewusstsein, dass der Partner in deren Gegenwart die nötige Grenze wahren wird, kurz zu erwidern und mit einem Lächeln zu zeigen, dass man dankbar ist für die Zugewandtheit und zu einem anderen Zeitpunkt dem Begehren des Partners sehr wohl Raum geben würde.

Wenn alle Lebensräume und Tageszeiten Gelegenheit sind, Erotik zu üben und Begehren zu entwickeln, dann ist die Schwelle, in den intimen sexuellen Modus zu kommen, wenn dann dafür wirklich Raum gegeben ist, viel niedriger, als wenn die alltäglichen Interaktionen nur aus funktionalen Transaktionen bestehen und wir die Brücke zum „erotischen Paar“ ständig neu bauen müssen.

Simmering ist Erotik im Alltag. Und Erotik ist ein wichtiger Bestandteil von gutem Sex. Erotik erfordert eine achtsame Geisteshaltung. Denn Erotik in Langzeitbeziehungen bleibt nicht von selbst bestehen. Das Bewusstwerden, dass wenn Erotik in der Beziehung nicht aktiv gepflegt wird, es auf Dauer keine Erotik geben wird, und die darauffolgende aktive Entscheidung, Erotik in der eigenen Beziehung zu kultivieren (d.h. zu sähen, zu nähren, um sie dann zu ernten) und Begehren zu pflegen, erfordert ganz viel Achtsamkeit.
Einerseits im Tun, in der präsenten Zugewandtheit, dem Abenteuergeist, der Gelassenheit gegenüber Ergebnissen, andererseits und ganz besonders in dieser Form einer dankbaren, bewussten, entschlossenen Geisteshaltung.

Eigenverantwortung

Achtsamkeit in Bezug auf Sex bedeutet auch Eigenverantwortung zu übernehmen. Gerade, wenn es darum geht, „guten“ Sex zu haben.

Keine Lust auf Sex zu haben, heißt manchmal ganz simpel: Was wir da tun, macht mir einfach keine Lust darauf, es zu haben. Unser Sex ist nicht gut. Was Du tust, turnt mich einfach nicht an. Achtsam zu sein, bedeutet an diesem Punkt, Eigenverantwortung zu übernehmen. Von der Interpretation „Du turnst mich nicht an“ oder „Es turnt mich nicht an“ zu „Ich turne mich nicht an“. Das klingt erst mal etwas provokant. Wenn wir aber zu hundert Prozent selbst die Verantwortung übernehmen für unsere Lust, ist es unsere eigene Aufgabe, herauszufinden, was uns anturnt und dafür zu sorgen, dass wir angeturnt werden. Besser: dass wir uns anturnen.

Stelle Dir deshalb immer mal wieder selbst die Frage: Was turnt Dich an? Ist es Distanz? Kreiere Distanz! Ist es Entspannung? Schaffe Entstpannung! Ist es Neues? Sorge für Neues! Ist es Ambiente? Oder Styling? Ein gutes Körpergefühl? Oder Frieden? Oder gute Kommunikation? Nimm es in Angriff! „Mein Partner muss den ersten Schritt tun“ oder gar „Du bist verantwortlich, dass ich mich gut fühle“ hilft da nicht. Es ist unsere Lust, unser Begehren. Unser Empfinden, unsere Gedanken, unsere Gefühle. Manchmal merken wir dann, dass wir unser eigenes sexuelles Profil gar nicht so gut kennen und es Sinn macht, erst einmal über uns selbst nachzudenken. Manchmal merken wir, dass wir unsere „dunklen Seiten“ zu wenig ausleben oder uns nicht trauen, uns zu offenbaren, in unseren Phantasien und Besonderheiten. Und dass wir den Mut aufbringen sollten oder den intimen Raum erst erschaffen, um ein Ansprechen möglich zu machen.

Manchmal merken wir dann, dass wir größere andere Aufgaben noch haben. An unserem Selbstwertgefühl zu arbeiten. Oder uns ein erfülltes Leben zu schaffen.

Tu einen ersten Schritt. Was turnt Dich an?

Es braucht Neugierde, Offenheit und den Willen, sich einzulassen. Sich einzulassen auf das eigene Begehren, sich mit der eigenen Lust zu verbinden. Es braucht Übernahme von Eigenverantwortung: für die eigenen Gedanken, die eigenen Interpretationen, die eigene Aufmerksamkeit, die eigene Lust, das eigene Begehren. Eigenverantwortung, dem inneren Kritiker die Stirn zu bieten, dem äußeren Richter die Zügel stramm zu halten, den eigenen, abenteuerlustigen Seiten die Erlaubnis zu geben, auf Forschungsreise zu gehen, zu schauen, wohin die Reise führt. Es braucht überhaupt viel „ich erlaube mir“ – viel Wertschätzung sich selbst gegenüber. Wertschätzung dem eigenen Körper gegenüber, seiner Imperfektion, seinen Eigenheiten, seinen Empfindungen. Wertschätzung meiner eigenen Gesellschaft gegenüber, mich selbst als „gut genug“ anzuerkennen, mit dem was ich bin und zu bieten habe. Es braucht Gelassenheit, einen gewissen Gleichmut, der zwischen „alles ist großartig“ und „alles ist schlecht“ liegt. Und eine gewisse Akzeptanz, dass das Ganze eventuell erst mal nicht so einfach ist. Wenn wir es aber schaffen, eine innere Haltung weg von Leistung und Performance hin zu Freude und Spiel zu entwickeln; wenn wir den Fokus weg von Zielerreichung hin zum Hier und Jetzt bringen können. Wenn wir wirklich wertschätzen können, was ist. Dann entsteht da ein ganz großer Raum, wo Lust, Begehren, Intimität, Verbundenheit, Freude und Spiel platz finden können. Und somit „guter Sex“.

Und ja, in diesem Sinne ist das Meditationskissen ein Sex-Toy. Enjoy!